Lesebengel Vorgelesen Der Wind in den Weiden

Der Wind in den Weiden

Wind in den Weiden. Hardcover abgelichtet in einem Weidenbaum.

oder Der Dachs lässt schön grüßen, möchte aber auf keinen Fall gestört werden

  • Von Kenneth Grahame
  • Ausgabe: Kein&Aber, 5. Auflage, März 2018
  • Übersetzung: Harry Rowohlt
  • Illustration: E.H. Shepard

Zum Inhalt von Der Wind in den Weiden:

Frühlingsgefühle am Fluss

Der Kinderbuchklassiker Der Wind in den Weiden beginnt mit einem Frühjahrsputz. Der Maulwurf ist eifrig dabei, doch hat bald das Gefühl, den Frühling draußen zu verpassen. Er hat keine Lust mehr auf den Frühjahrsputz. Kurz entschlossen verlässt er seinen Bau und will fortan die Welt ober- und außerhalb seiner Gänge entdecken. „Das Leben war lebenswert und schön war der Frühling ohne Frühjahrsputz.“ Dieser Satz beschreibt wunderbar, worum es in diesem 111 Jahre alten Kinderbuch auch geht: um ein positives Lebensgefühl, Frohsinn, Heiterkeit und Genuss.

Der Maulwurf entdeckt den Fluss, dem das gesamte erste Kapitel gewidmet ist. Er ist wie verzaubert von der Wildheit und Schönheit. Nun lernen wir gemeinsam mit dem Maulwurf den zweiten, ebenso sympathischen Protagonisten kennen, die Wasserratte. Diese lädt den Maulwurf auf eine Bootstour mit einem prallgefüllten Picknickkorb ein.

Aus einem herrlichen Sommertag wird ein ganzer, paradiesischer Sommer. Der Maulwurf lernt sogar schwimmen und Rudern und lebt gemeinsam mit der Wasserratte „Am Fluss und mit dem Fluss und auf dem Fluss und im Fluss.“ Und auch das ist ein wichtiges, wenn auch dezent behandeltes Thema der Geschichte: das Leben im Einklang mit der Natur.

Wind in den Weiden: Picknick mit Wasserratte und Maulwurf und einem prallgefülltem Korb am Fluss
Picknick unter der Weide am Fluss

Unterwegs mit dem Kröterich

Eines Tages besuchen die beiden Freunde den Kröterich auf dessen Landsitz Krötinhall. Der Kröterich ist ein gutmütiges Tier, allerdings auch ein Angeber und sehr sprunghaft in seinen Hobbys. Sein aktuelles Projekt ist ein kleiner Zigeunerwohnwagen. Er überredet Wasserratte und Maulwurf eine Reise zu wagen und das wahre Leben zu genießen: „Vor dir die ganze Welt und ein Horizont im steten Wechsel!“

Obwohl die Ratte ihren geliebten Fluss nicht verlassen möchte, lässt sie sich auf das Wagnis ein. Sie möchte den abenteuerhungrigen Maulwurf nicht enttäuschen und gleichzeitig ein Auge auf den Kröterich haben, der die Angewohnheit hat, leicht in Schwierigkeiten zu geraten.

Der Stellenwert von Freundschaft wird in diesem zweiten Kapitel sehr deutlich. Auch wenn der Kröterich seine hedonistischen Macken nicht unter Kontrolle hat, nicht beim Frühstückmachen hilft und eigentlich nur an sein Vergnügen denkt, lassen ihn seine Freunde nicht im Stich. Denn sie wissen, dass er im Inneren ein gutherziges Tier ist.

Die Reise endet mit einem kleinen Unfall. Das Pferd, von einem vorbeirasenden Auto verschreckt, scheut den Weg und der Zigeunerwagen kippt um. Verletzt wird niemand. Im Gegenteil, fortan ist die Leidenschaft des Kröterichs für Automobile geweckt, die im hinteren Teil des Buches noch von schicksalhafter Bedeutung ist.

Der gutmütige Dachs im Wilden Wald

Schließlich wird es Herbst und Winter in Der Wind in den Weiden. Das dritte Kapitel handelt vom Treffen mit dem waldbekannten Dachs. Einem herzlichen, aber recht scheuem Tier. Der Wilde Wald, in dem sich der Dachsbau befindet, ist ein unheimlicher Ort. Er ist so eindrucksvoll beschrieben, dass ich einige Sätze übersprungen habe, da ich um den ruhigen Schlaf meiner Jungs fürchtete.

Die düstere Atmosphäre verdichtet sich, da der Maulwurf allein und in der Dämmerung unterwegs ist. Er bekommt es so sehr mit der Angst zu tun, dass er sich in einem Baumloch versteckt. Zum Glück ist der Ratte das Fehlen ihres Mitbewohners mittlerweile aufgefallen. Bewaffnet zieht sie los in den gefährlichen Wald und rettet ihren Freund. Auf dem Rückweg geraten sie in einen Schneesturm und finden letztlich in größter Not den Eingang zur Behausung des Dachses, dem das vierte Kapitel gewidmet ist.

Der Dachs kümmert sich sehr väterlich um die Durchgefrorenen. Sie verbringen eine gesellige Zeit im Dachsbau und treffen dort auch auf andere Tiere.

Der gutmütige Dachs in seinem Bau. Draußen vor seiner Tür Wasserratte und Maulwurf im Schneegestöber
Der gutmütige Dachs in seinem Bau

Zuhause

Das fünfte Kapitel schneidet ein weiteres, zentrales Thema von der Wind in den Weiden an: Heimat. Es werden im Laufe der Geschichte verschiedene Orte vorgestellt, die für den jeweiligen Bewohner ein Zuhause sind. Gleich zu Beginn der Maulwurf im Maulwurfsbau, dann das Wasserrattenloch, Krötinhall, der Dachsbau und schließlich wieder der Maulwurfsbau.

Erst als Maulwurf auf einer Wanderung mit Ratte zufällig die Witterung seines alten Baus aufnimmt, wird ihm klar, wie sehr er sein Zuhause vermisst. Er war ja nun schon seit Monaten nicht mehr dort.

Wasserratte versteht zunächst das starke Bedürfnis seines Freundes nicht, in den alten, dunklen Bau einzukehren. Sie geht einfach weiter. „Der arme Maulwurf stand allein auf der Landstraße. […] Doch die Treue zu seinem Freund hielt selbst dieser Probe stand.“ Die enge Freundschaft der beiden wird hier besonders deutlich. Vor allem weil der Ratte ihr plumpes Verhalten schmerzlich bewusst wird und sie gemeinsam mit dem Maulwurf kehrt macht, damit er ihr sein Heim zeigen kann.

Der Kröterich und seine Autos

Die zweite Hälfte des Buches widmet sich überwiegend den Abenteuern des Kröterichs und beginnt mit einer ungewöhnlichen Begebenheit: der Dachs besucht Maulwurf und Wasserratte. Das tat er noch nie. Gemeinsam wollen sie eine edle Tat vollbringen und den Kröterich von seiner zerstörerischen Automobil-Sucht heilen. Was folgt, sind Maßnahmen, die an einen kalten Entzug erinnern. Am Ende überlistet der Kröterich seine gutmütigen Freunde, wird rückfällig, in dem er ein Auto stiehlt, und schließlich verhaftet und verurteilt.

Die Zeit im Gefängnis, der Ausbruch und die Flucht sind in den letzten Kapiteln wunderbar beschrieben. Die Welten von Menschen und Tieren haben sich im Vorangegangenen immer wieder überschnitten, wenngleich nicht immer so ausführlich wie an dieser Stelle der Geschichte.

Und obwohl der Kröterich es in den Augen der Leser wahrscheinlich nicht verdient hat, halten dessen Freunde weiter zu ihm. Überhaupt konnte der Kröterich nur fliehen, weil er in der Gunst der Kerkermeistertochter stand. Sooft er auch in Schwierigkeiten gerät, seine Freunde holen ihn da immer wieder heraus.

Ausbruch, Flucht und Heimkehr

Kröterich als Waschfrau verkleidet auf der Flucht. Die Menschen erkennen ihn nicht.
Der Kröterich als Waschfrau

Der Ausbruch und die anschließende Flucht sind detailliert und lustig beschrieben. Trotz vieler, brenzliger Situationen schafft Kröterich es bis nach Hause an den Fluss. Während seiner Abwesenheit haben unzählige Frettchen, Hermeline und Wiesel aus dem Wilden Wald Krötinhall besetzt. Dachs, Maulwurf und Wasserratte entwickeln eine militärische Strategie, wie sie das Herrenhaus von den unliebsamen Besetzern befreien können. Jedem Tier kommt dabei eine wichtige Aufgabe zu, die seinem Können entspricht. Vor allem der Maulwurf entwickelt sich am Ende der Geschichte charakterlich deutlich weiter. Der Maulwurf ist eigentlich auch Charakter der einzige der sich im Klassiker Der Wind in den Weiden weiterentwickelt.

Der ausgeklügelte Plan ist erfolgreich. Die kleine Gruppe der entschlossenen Freiheitskämpfer kann die übermächtigen Besetzer in die Flucht schlagen, zurück in den Wilden Wald. Der Kröterich kann wieder in sein geliebtes Zuhause einziehen.

Der Pfeiffer vor dem Tor zur Dämmerung

Kapitel sieben und neun stehen etwas außerhalb der Rahmenhandlung. Sie sind, meiner Meinung nach etwas zusammenhanglos, in die Kapitel um die Abenteuer des Kröterichs eingebettet. Dennoch haben mir diese beiden inhaltlichen Ausflüge sehr gut gefallen. Sie nehmen das Tempo aus den Abenteuerkapiteln und fühlen sich an, wie eine Rast auf einer Lichtung im Wald. Während man dem Wind in den Weiden lauscht.

In Kapitel sieben, Der Pfeiffer vor dem Tor zur Dämmerung oder Warum sich alles stets zum Guten wendet, machen sich Maulwurf und Ratte nachts auf die Suche nach dem Otter-Kind Portly. Plötzlich vernimmt die Wasserratte eine Melodie, der sie folgen, ja geradezu folgen müssen: „Mit allen Sinnen war sie [die Ratte] von jenem Ding gepackt, das jetzt ihre Seele sanft wiegte und schaukelte“

Die Freunde entdecken den mystischen Gestalt des Gottes Pan und bei ihm den kleinen Otter, den sie zurück zu seiner Familie bringen. Dieses Kapitel ist für mich eines der schönsten. Es ist voller Zauber und Magie. Und wunderschöner Poesie.

Otter-Kind Portly hat sich verlaufen und wird von Wasserratte und Maulwurf beim Pfeiffer wiedergefunden
Otter-Kind Portly hat sich verlaufen

Jeder ist ein Vagabund

Jeder ist ein Vagabund ist das neunte Kapitel. Es erzählt vom Hochsommer. Von jenen Wochen, in denen man sich das erste Mal der Endlichkeit des Sommers bewusst wird. Die Nagetiere treffen die ersten Vorbereitungen, die Zugflügel planen ihre Reise. Und die Wasserratte ist traurig, dass niemand mehr Zeit für sie hat. Zufällig kommt eine Schiffratte des Weges, welche von ihrem aufregenden Leben in der großen weiten Welt erzählt.

„Die Ratte folgte den Erzählungen des Abenteurers Seemeile um Seemeile. Sie folgte ihm durch die Buchten, die im Sturm kochten, durch die Hast in den Trockendocks, durch Hafenkneipen bei Windstärke 8 […]“ Wunderschön geschrieben, oder?

Je mehr unsere Wasserratte davon hört, desto mehr ist sie gepackt von Sehnsucht und möchte sich auch auf Reisen begeben. Doch der Maulwurf kann das in letzter Sekunde verhindern und kümmert sich sehr takt- und liebevoll, um seinen besten Freund, bis dieser wieder fröhlich und mit seinem Leben zufrieden ist.

Die Bilder in Der Wind in den Weiden:

Karte der Flusslandschaft. Übersicht der verschiedenen Schauplätze des Buches..
Die Flusslandschaft

Der Wind in den Weiden ist in verschiedenen Übersetzungen und mit unterschiedlichen Illustrationen erschienen. E. H. Shephard war der erste, dem es gelang, die Vorstellungen des Autors zu treffen. Zuvor waren mehrere Kolleginnen und Kollegen daran gescheitert, Grahame´s menschliche Tierfiguren treffend zu zeichnen.

„Ich liebe diese kleinen Leute; seien Sie nett zu Ihnen.“, soll er zu Shephard gesagt haben. Dann schickte er ihn ans Flussufer und überließ ihn seiner Fantasie. Das Ergebnis war eine Sammlung wunderbare Strichzeichnungen, zunächst schwarzweiß, die die Tiere einfach so abbildeten, wie sie gerade sein musste: groß, klein, menschlich, tierisch. Der Künstler arbeitete außerhalb der Grenzen erwachsener Logik. Jahre später kolorierte er seine Bilder nach, so dass sie die Stimmungen der Jahreszeiten und der Natur noch besser wiedergeben.

Fazit oder die Moral von der Geschicht`:

Die poetische Sprache

Als ich Der Wind in den Weiden das erste Mal vorlas, hatte ich zunächst Schwierigkeiten mit der Sprache, die so anders ist, als in anderen, modernen Kinderbüchern. Die Worte sorgen für Langsamkeit und Achtsamkeit für das Schöne. Sie schaffen es, den Fluss, die Natur und die Tiere lebendig werden zu lassen. Sie sind soweit weg von der hektischen, digitalen Welt. Vielleicht fühlt sich die Lektüre des Buches deshalb an, wie Urlaub. Oder wie Kindheit an einem sommerleichten Tag.

Die Beschreibung des Flusses ist dafür bespielhaft: „so ein glattes, gewundenes, pralles Tier, kollernd und kichernd, das Sachen ergreift und lachend wieder fahren lässt, um sich auf neue Spielgefährten zu stürzen, die sich von ihm losreißen, um sich noch einmal fangen zu lassen. Er bebte und bibberte, glänzte und glibberte und sprühte Funken, er rauschte und strudelte, schwatzte und blubberte.“

Tierische und menschliche Charaktere

Die Unterscheidung bzw. Überschneidung der Mensch- und Tierwelt war für meine Kinder unproblematisch. Warum sollten Tiere auch nicht Autofahren, Möbel und andere menschliche Ausstattung besitzen? Erwachsene sollten die magischen Regeln der tierischen und menschlichen Welt nicht weiter hinterfragen. Unlogik sollte uns egal sein, so wie sie es vermutlich dem Autor war. Oder auch nicht. Auf jeden Fall bewahrt er der Geschichte auf diese Art eine wunderbare Leichtigkeit und Fröhlichkeit.

Neben den tierischen Protagonisten treten auch Menschen im Verlauf des Buches auf. Sie sind Richter, Lokführer oder einfach Statisten. Die fürsorgliche und empathische Tochter des Kerkermeisters ist eine der wenigen weiblichen Personen des Buches. Ansonsten sind Frauen stark unterrepräsentiert. Meiner Meinung darf das aber auch einfach mal so sein!

Die Charaktere sind keine Superhelden. Sie haben alle ihre Marotten. Aber sie halten zusammen und der Wert von Freundschaft ist unschätzbar hoch. Das ist eine Botschaft, die auch Kinder gut verstehen. Gefühl und Mitgefühl werden verständlich und trotzdem unaufdringlich deutlich. Ja, habe ich öfter beim Lesen gedacht, dieses Gefühl kenne ich. Oder: so geht es mir auch manchmal.

Vor allem bei den Geschichten mit dem Pfeiffer und der Schiffsratte, meinen Lieblingskapiteln, war es so. Wobei sie mir, wie oben beschrieben, eher wie ein Spin-Off erschienen.

Absolut empfehlenswert!

Abgesehen davon, dass ich mir als Abschlusskapitel von Der Wind in den Weiden vielleicht etwas Friedvolleres, als einen Häuserkampf gewünscht hätte, hat uns dieser Kinderbuchklassiker super gefallen. Ich habe ein paar Seiten gebraucht, um mich in die Sprache einzufinden, habe mich dann aber ebenso schnell in diese verliebt.

Die Übersetzung von Harry Rowohlt ist spitze. Alle diese lebendigen Adjektive, die allein durch ihren Klang eine Sache beschreiben… super! Auch inhaltlich sind die Geschichten schön und fantasievoll. Und die Verschmelzung und Abgrenzung von Menschen- und Tierwelt hat mir sehr gut gefallen.

Im Nachwort von Brian Sibley heißt es, dass Der Wind in den Weiden ein ehrliches Buch sei. Mehr noch: „…ein guter Freund, mit dem man einfach in Verbindung bleiben muss, in dessen Gesellschaft man immer mit dem Leben ein bisschen zufriedener ist.“ Dem kann ich mich voll und ganz anschließen. Ja, es ist ein Buch mit Moral. Mit naturkundlicher Information. Mit Poesie. Und, ganz wichtig, mit Humor. Mit Humor, den auch Kinder verstehen.

2 thoughts on “Der Wind in den Weiden”

  1. Ich habe dieses Buch meinem damals 8/9 jährigen Sohn vorgelesen.
    Wie haben es genossen. Es ist ein wunderschönes Buch!!!
    Jahre später kam für ihn für sein neugeborenen Kätzchen nur ein Name in Betracht: PORTLY. Portly wurde mur sehr viel Liebe von ihm bedacht und ist ein ganz toller überaus geselliger freundlicher und lieber Kater der auch auf Abenteuer steht.

    1. Ja, das Buch ist wirklich wunderbar. Ich bekomme insbesondere immer im Frühjahr Lust, es erneut zu lesen.
      Und Portly, ein super Name für ein Kätzchen!

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