Wanja – vom Taugenichts zum Zaren
Von: Otfried Preußler
Einbandgestaltung: Maximilian Meinzold
Erschienen: Thienemann-Esslinger Verlag GmbH, 1981
Zum Inhalt:
Ein märchenhaftes Abenteuer
Die Abenteuer des starken Wanja – Titel und Umschlaggestaltung allein reichten aus, um mich zum Kauf dieses Buches zu bewegen. Wobei der bekannte Name des Autors als Garant für eine gelungene Kindergeschichte sicherlich auch eine Rolle spielte.
Der Inhalt war mir allerdings völlig unbekannt. Die Preußler-Geschichten um das kleine Nachtgespenst, den Wassermann und die kleine Hexe im Hinterkopf, war ich überrascht eine russische Abenteuergeschichte mit klassischen Elementen eines Märchens vorzufinden.
Preußler unterteilt seine Erzählung in drei Bücher, die die Wandlung seines Helden Wanja vom Taugenichts zum Zaren eines mächtigen Reiches beschreiben.
1. Wanja-Buch: Wanja und seine Brüder oder Sieben Jahre auf dem Backofen
Der faule Wanja
Wanja ist dritter Sohn des Bauern Wassili Grigorewitsch und hat zwei große Brüder, die sehr wohlgeraten und fleißig sind. Gemeinsam mit ihrer alten Tante, die den Haushalt führt, leben sie auf einem kleinen Bauernhof irgendwo in Russland.
Während Grischa und Sascha ihrem Vater täglich tüchtig zur Hand gehen, verbringt Wanja seine Tage getreu dem Motto: Faulheit ist die Kunst sich auszuruhen, bevor man müde ist. Er schläft lange, sitzt in der Sonne, döst im Stroh. Dennoch halten seine Tante und auch sein Vater fest zu ihm und nehmen es ihm, im Gegensatz zu seinen Brüdern, nicht krumm, dass er nun einmal ist, wie er ist: nämlich stinkend faul.
Der blinde Greis
Als Wanja im Wald Zweige für einen neuen Besen sammeln soll, macht er zunächst ein Picknick und dann – ein Nickerchen. „So lässt sich die Arbeit zur Not eine Weile aushalten“ (Zitat, S. 11), ist seine Meinung. Schon halb auf der sonnigen Wiese weggedöst, kommt ein blinder Greis auf Wanja zu, der ihn offensichtlich kennt und gezielt aufgesucht hat.
Er verspricht Wanja, ein mächtiger Zar (namentlich Iwan Wassiljewitsch) über ein großes Reich zu werden, wenn er nur folgende Probe bestünde: er soll sich sieben Schafspelze und sieben Säcke Sonnenblumenkerne besorgen, damit auf den Backofen steigen und mit niemandem mehr ein Wort reden. So solle er fortan leben, bis er sich so stark gefaulenzt hat, dass er das Dach seines Hauses heben kann.
Wanja will das gerne versuchen, so gibt es doch wahrlich schlimmeres, als an einem behaglichen Ort auf weichen Fellen herumzuliegen und Sonnenblumenkerne zu knabbern.
Wanja auf dem Ofen
Natürlich wundert sich Wanjas Familie sehr, was mit ihrem Jüngsten los ist. Seine Brüder versuchen ihn mit allerlei Tricks vom Ofen herunter zu locken – ohne Erfolg. Der Bauer und die Tante halten aber weiter zu Wanja und sind überzeugt, dass das Ganze zu irgendetwas gut sein müsse.
Irgendwann halten Grischa und Sascha den Hohn einiger Dorfbewohner nicht mehr und wollen ihr eigenes Haus anzünden, damit Wanja endlich vom Ofen steigt.
Doch just an diesem Tage macht der noch faule, aber mittlerweile sehr starke Wanja, zum siebenten Mal die Dachprobe und besteht sie.
Nach sieben Jahren steigt er vom Ofen herab und kann seiner Familie endlich sein Verhalten erklären – und seinen Brüdern seine Kraft demonstrieren. Ohne einen weiteren Tag der Verzögerung macht er sich auf zur großen Wanderung zu den Weißen Bergen, so wie der alte es ihm damals im Wald auftrug.
2. Wanja-Buch: Zahl links – Adler rechts oder Die Lanze, das Ross und die Zarenrüstung
Der böse Och
Frohen Mutes wandert der starke Wanja in die Welt hinaus. Das Dreikopekenstück, dass seine Mutter ihm einst schenkte, weist ihm an jeder Weggabelung den Weg. Zahl links, Adler rechts.
Unterwegs trifft Wanja auf viele hart arbeitende Leute, denen er Dank seiner Kraft helfen kann. Nach einiger Zeit kommt Wanja in eine wohlhabende Gegend, die allerdings einmal im Jahr vom bösen Och, einem grünen, geflügelten Teufel, heimgesucht wird. „Heulend und fauchend fliegt er umher; und bevor er in seinen Wald zurückkehrt, zerstört er ein Dorf. Irgendeines, wie er gerade Lust hat.“ (Zitat, S. 76).
Wanja schafft es, den schlimmen Unhold zu besiegen und erbeutet von ihm eine Lanze aus Eisenholz.
Nach vielen Tagen einsamen Wanderns trifft unser Titelheld auf einen Ritter, der einen aussichtslosen Kampf gegen eine Gruppe skrupelloser Räuber führt. Er schlägt die Bande des schwarzen Batur in die Flucht. Der gerettete Ritter Wolok wird bis vor die Tore Kiews sein Weggefährte. Wegen des Dreikopekenstückes trennen sich aber ihre Wege und zum Abschied schenkt Wolok seinem Retter einen edlen Dolch.
Die Baba-Jaga
Einige Wochen vergehen und Wanja kommt in einen Ort, an dem es keine Pferde mehr gibt und die armen Bauern alle Arbeit mühselig von Hand erledigen müssen. Er erfährt, dass eine böse Hexe ihr Unwesen treibt, die Baba-Jaga. „Wer ihr den Weg kreuzt, dem wirft sie ein Fangeisen um den Hals, daran zerrt sie ihn unbarmherzig in den Morast und ertränkt ihn.“ (Zitat, S. 110)
Doch mit Hilfe seines neuen Dolches besiegt er die böse Hexe und nimmt ihr das beste Pferd aus der Herde, die sie über die Jahre zusammen gestohlen hat: den Rappen Waron.
Foma Drachensohn
Nach einem langen buckligen Winter reitet Wanja weiter und erreicht endlich die Ausläufer der Weißen Berge. Ein Fährmann erzählt ihm, dass dort der steinerne Ritter Foma Drachensohn haust und die Rüstung des Zaren Iwan Wassiljewitsch bewacht. Natürlich gelingt es dem starken, zukünftigen Zaren, die Rüstung zu erbeuten und ganz nebenbei die Söhne des Fährmannes zu befreien.
3. Wanja-Buch: Jenseits der Weißen Berge oder Ein Traum erfüllt sich
Der alte Zar
Es stellt sich heraus, dass der blinde Greis, der dem faulen Wanja in dessen heimatlichem Wald erschien, der jetzige Zar des großen Reiches ist. Seit vielen Jahren ist er blind und krank und wird von seiner einzigen, sehr hübschen Tochter gepflegt. Gemeinsam hoffen und bangen sie täglich um das Erscheinen des Zaren Iwan Wassiljewitsch.
Als Wanja keine zwei Tagesritte von der Zarenstadt entfernt ist, wird er bereits vom Volke anhand seiner Rüstung, seines Pferdes und seiner Lanze als zukünftiger Herrscher erkannt.
Allerdings muss er gemeinsam mit einem neuen Freund ein weiteres, lebensgefährliches Abenteuer bestehen und einer Intrige entgehen, bevor er endlich den prunkvollen Palast erreicht.
Der neue Zar
In dem alten Zaren erkennt er sogleich den Blinden, den er vor vielen Jahren im Wald traf. Er lernt auch dessen Tochter kennen und verliebt sich in sie. Der neue Zar wird dem Volk vorgestellt und beujubelt: „Hoch lebe der starke Iwan Wassiljewitsch unser neue Zar!“ (Zitat, S. 192)
Gestaltung:
Das Cover ist sehr gelungen und macht, dank des Bildes vom reitenden Wanja, der die Lanze führt, Lust auf Abenteuer. Die Farbgebung passt zur Szenerie der Geschichte. Deutlich wird durch Wanjas Kleidung und die Ausstattung des Pferdes, dass diese Geschichte an einem fernen Ort zu einer vergangenen Zeit spielt.
Ganz besonders gelungen ist die Typografie des Titels, die in ähnlicher Weise innen zur Unterteilung in die drei Bücher wieder aufgegriffen wird. Außerdem sind die Seitenzahlen schmuck eingefasst und jedes Kapitel beginnt mit einer großen, kunstvollen Initiale. Ich habe mich über diese liebevollen Details gefreut, meinen Kindern waren sie relativ egal. Unbewusst fanden sie die aber sicherlich auch schön…
Hin und wieder ein Bild hätte meinen kleinen Zuhörern sicherlich gut gefallen. Da das Buch komplett auf Illustrationen verzichtet, haben wir uns einfach im Verlauf der Geschichte häufiger das Cover angesehen, zum Beispiel als Wanja die Lanze oder das Pferd bekam.
Fazit und die Moral von der Geschicht‘:
Exotische Szenerie
Das gesamte Setting ist zunächst ungewohnt. Wir alle kennen deutsche und schwedische Kinderliteratur zu Hauf. Eine Geschichte, die im Osten der Welt und dann noch zur Zeit der großen Zaren spielt, war für uns etwas ganz Neues.
Durch das altertümliche Vokabular, die beschriebene Landschaft und die Menschen tut sich aber ein schlüssiges und spannendes Bild auf und keiner von uns hat das Gewohnte vermisst. Interessant waren auch die unbekannten Gestalten der östlichen Mystik, wie die Babba Jagga oder der Och.
Die Lektüre war wie ein Ausflug in eine exotische Welt. Eine Reise ins Unbekannte, wie es sie (dank sozialer Medien) heute kaum noch gibt.
Stockender Lesefluss
Allerdings war das Vorlesen nicht immer ganz einfach, da die Sprache manchmal etwas kompliziert ist. Und die ungewohnten Namen, Maßeinheiten und Redegewohnheiten können auch für den erwachsenen Vorleser eine Herausforderung sein.
Daher würde ich das Buch eigentlich erst ab 6 Jahren empfehlen, auch weil es keine Bilder gibt.
Dafür sind die Kapitel so kurz gehalten, so dass man großzügig verkünden kann, noch drei weitere vorzulesen.
Obwohl das Märchen (wie alle Märchen) reichlich Platz dafür böte, kommt der Autor mit sehr wenig Gewaltszenen aus. Eine Szene habe ich allerdings komplett ausgelassen, weil ich das meinen Jungs nicht zumuten wollte (S. 182).
Familienbande
Die Abenteuer des starken Wanja ist ein Loblied der Faulheit. Aber eben nicht nur. Es werden auch die negativen Auswirkungen aufgezeigt: seine Brüder müssen seine Arbeiten mit erledigen.
Trotzdem wird Wanja von seinem Vater und seine Tante geliebt und so angenommen wie er ist. Eine wichtige Botschaft, die Preußler in Richtung Erwachsene schickt: nehmt eure Kinder wie sie sind. Helft ihnen, das zu werden, was sie sind. Lasst ihnen Zeit sich zu entwickeln. Vertraut ihnen.
Nur aufgrund des immensen familiären Rückhaltes kann Wanja seiner Bestimmung folgen. Auch die Brüder vertragen sich beim Abschied und verzeihen sich gegenseitig.
Empfehlung für Lesebengel, Ritter, Zaren und andere kleine Helden
Der Protagonist macht eine enorme Wandlung durch. Er verkörpert, obwohl früher Taugenichts, ritterliche Tugenden, hilft Schwächeren und befreit Unterdrückte. Damit gibt Titelheld Wanja (anders als Karlsson vom Dach) eine ideale Heldenfigur ab.
Wer mal etwas ganz anderes als die gewohnten Geschichten lesen möchte, ist mit Wanja sicherlich gut beraten. Zur Not das Lesetempo etwas herunter schrauben und sich ganz gemütlich in Sprache und Abenteuer einfühlen.
Ich bin jahrgang 65.dieses Buch ist das einzige, das mir bis heute in Erinnerung geblieben ist. Der starke Wanja ist für mich eines der größten Vorbilder bis heute.
Toll, dass Kinderbücher das können: über Jahrzehnte in Erinnerung bleiben und solche starken Vorbilder schaffen.
Das allererste Buch das ich gelesen habe, und das an einem Tag!
Es war 1968 im Erscheinungsjahr, ein Nachbar hat es mir geliehen.
Ich bin Jahrgang 1958. Auch mir ist der starke Wanja gut in Erinnerung. Er war mir stets Vorbild und Inspiration. Wichtig ist mir gerade auch die Botschaft, dass es Zeiten gibt, in denen wir wachsen und Kräfte sammeln.
“Wanja” wird bei mir bei den “Märchen-Jungsgeburtstagen” durchgespielt im Schloss Bergedorf. Gerade in diesen Kriegszeiten stellt sich die Frage, wer “rechtmäßiger” Zar Russlands sein könnte, auf ganz verblüffende Weise neu. Der einzige namentlich erwähnte Ort im Buch ist übrigens Kiew, zu dessen ritterlichen Tafel Wanja eingeladen wird, er aber zugunsten seiner Mission auf den “Karrieresprung” vom armen Bauernjungen in den Ritterstand verzichtet. Ich empfehle dieses Buch für den Grundschulunterricht, aktueller geht es nicht!
Ich habe eine alte Ausgabe vom Arena-Verlag. Die hat viele schöne Illustrationen.