Nordische Erzählung über den Ursprung des Lebens – Máttaráhkkás weite Reise
Von: Sissel Horndal (Text und Illustration)
Erschienen: Baobab Books, 2019
Zum Inhalt:
Der Winter kommt
Die kleine Mücke hat es zuerst bemerkt. Die warme, helle Jahreszeit neigt sich dem Ende zu. Auch für den Bären und die Zugvögel wird es Zeit, sich auf den Winter vorzubereiten. Máttaráhkkás weite Reise steht kurz bevor (sprich „Madderakka“).
Der Mann und die Frau, die am See wohnen, spüren den Aufbruch der Tiere und erleben den Einbruch des klirrendkalten Winters. Die Rauchsäule ihres Feuers reicht hoch in den dunklen Winterhimmel, bis hinauf in die Welt der Götter.

Das Reich der Götter
Radien, zum Beispiel, ist ein Bewohner des obersten Himmelsraumes und überwacht die Arbeit der anderen Götter. Sein Sohn hat die Kraft, neues Leben zu schaffen.
Máttaráhkká, die Urmutter, nimmt das junge, keimende Leben entgegen und lässt daraus einen Körper wachsen. Ohne zu wissen, ob es Mensch oder Tier werden wird.
Mit dem neuen Leben beginnt Máttaráhkkás weite Reise zur Erde und erreicht die Hütte am See, wo bereits ihre drei Töchter eingekehrt sind. „Sie waren den Menschen am nächsten, nahmen Anteil an ihrem Leben, halfen ihnen und beschützten sie.“ (Zitat)
Das werdende Leben soll also ein Menschkind werden. Die drei Töchter diskutieren mit der Urmutter Máttaráhkká über das Geschlecht des Kindes, sind sich aber nicht sicher, was es werden soll.

Máttaráhkkás weite Reise geht zu Ende
„Dann kam die Sonne zurück und mit ihr das Licht und die Wärme.“ (Zitat)
Der Wald, der Fluss, die Tiere erwachen zu neuem Leben und im Sommer werden in der Hütte am See Zwillinge geboren. Ein Junge und ein Mädchen. Máttaráhkkás weite Reise geht erfolgreich zu Ende.
Am Ende der Erzählung schließt sich ein Kreis, denn Bär und Mücke treffen noch einmal aufeinander.
Illustrationen:
Die wunderschönen Bilder kommen von der Autorin selbst und passen einfach perfekt zu der nordischen Sage. Die Farben sind überwiegend dunkel, aber niemals düster. Eher so, wie eine klare Polarnacht. Die Gegensätze Licht und Dunkelheit spielen dabei eine große Rolle.

In allen Bildern spiegelt sich die magische Atmosphäre der Erzählung und gibt sie sogar noch verstärkt wider. Der kalte Nordwind wird beispielsweise als rasender, fauchender Wolf dargestellt, während die Götter in uriger Menschengestalt auftreten.
Die Szenen, die im Herbst und Sommer spielen, sind in Sandfarben gehalten.
Besonders gut haben mir die Bilder der Neugeborenen in den Armen ihrer Eltern gefallen (s.u.). Da braucht es keine Worte. Diese Bilder sagen alles. Und lassen einen alles verstehen.

Fazit und Moral von der Geschicht`:
Ein Buch wie eine Polarnacht
Dieses Bilderbuch besteht quasi aus nordischer Atmosphäre: Es sind die unfassbar stimmungsvollen Bilder, die alles Unsagbare sagen. Es ist der Text, so schön und einfach, mit wenigen Worten so viel aussprechend. Wer sich darauf einlassen kann, und nicht grübelt, ob das Ganze zu esoterisch daherkommt, wird belohnt mit einer spannenden Reise in den hohen Norden dieser Welt. In das Gebiet der Samen, das sich über die Landesgrenzen von Norwegen, Finnland, Schweden und Russland erstreckt.
Auch wer (so wie ich) noch nie eine Polarnacht erlebt hat, weiß nach der Lektüre dieses Buches, wie sie sich anfühlen könnte. Wieviel Farben Dunkelheit haben kann.

Sagen und Götter abseits des Mainstreams
Ähnlich wie „Fliegender Stern“ (https://lesebengel.de/fliegender-stern/) oder „Ich, Odin und die wilden Wikinger“ (https://lesebengel.de/wikingerbuch-ich-odin-und-die-wilden-wikinger/) bietet “Máttaráhkkás weite Reise” die Chance, exotische Sagen und Götter kennenzulernen.
Die Namen der Gottheiten sind allerdings eine Herausforderung. Es gilt, Augen, Hirn und Zunge ausreichend Zeit lassen. Eine große Hilfe bei der Aussprache liefert das Nachwort der Übersetzerin, welches ich glücklicherweise zuerst gelesen hatte. Denn darin erfahren wir, wie der Name Máttaráhkká, und die Namen der anderen Götter, ausgesprochen werden (s.o.).
Vielleicht wäre ein anderer Titel passender gewesen. Denn die eigentlich „weite Reise“ wird nur auf einer Seite in wenigen Sätzen geschildert. Dass es um die Entstehung des Lebens geht, ist nicht deutlich.
„So ist es also.“

Das ist der häufigste Satz des Buches. Diese kurze, so unscheinbar Aussage bezieht sich auf nichts weniger als den ewigen Kreislauf des Lebens (Achtung Ohrwurm: „und das Leben, ein ewiger Kreis…“, König der Löwen).
Die Dinge so anzunehmen, wie sie sind, offen zu sein, für alles, was kommt – das könnten die Lehren des Buches sein. Auch deshalb gehört diese Erzählung aus dem Samenland definitiv in die Top Ten meiner Lieblings-Bilderbücher.
Meinen Jungs allerdings hat einmal Vorlesen vollkommen gereicht. (So ist es also…)
Die Geschichte hat sie einfach nicht gefesselt. Vielleicht war es die abstrakte Handlung, vielleicht die vielen Personen mit den fremdklingenden Namen. Wer weiß.
Ich kann mir das Buch aber durchaus für ältere Kinder vorstellen. Es lädt ein, zum gemeinsamen Nachdenken über das Leben und könnte daher sogar eine Anregung für den Religions- oder Philosophieunterricht an Grundschulen sein.

Spätestens wenn deine Kinder dich zur Oma gemacht haben, werden sie das Buch zu schätzen wissen. Ich finde es wunderschön. Und ein guter Ausgleich zu all den Drachen-, Wikinger- und Piratengeschichten.
Das stimmt!