Narwal, Einhorn des Meeres, und Jelly, die Qualle – Geschichten einer Freundschaft
Von Ben Clanton
Moses Verlag, 2019
Band 1: Das Einhorn des Meeres
Band 2: Super Narwal und Jelly, der Blitz
Comics vorlesen?
Als ich die Bände um einen Narwal und eine Qualle das erste Mal in der Hand hielt, war ich zunächst skeptisch, ob sich diese überhaupt zum Vorlesen eigenen würden. Meine Erfahrung mit dem Vorlesen von Comics war eher negativ: Mama, wer hat das jetzt gesagt? Mama, was macht der in dem Bild? Und in dem? Und in dem? Was bedeuten die großen Buchstaben? KRAWUMM!
Doch dieses Mal wurde ich sehr positiv überrascht. Ob es daran liegt, dass diese Bücher auch als Graphic Novels eingeordnet werden können? (Gräfik was? Graphic Novel: vereint Charakteristika von Roman und Comic) Nein, wahrscheinlich nicht. Das (Vor-)lese-Vergnügen begründet sich eindeutig in der Machart der schmalen Büchlein. Ben Clanton, Autor und Illustrator in Personalunion, kombiniert einfache, aber sehr humorvolle und subtile Bildsequenzen, Sprachwitz und einen leicht zu verstehenden, aber nicht langweiligen Plot. Außerdem hilfreich beim Vorlesen: es gibt nur zwei Protagonisten. Wer also zwei unterschiedliche Vorlesestimmen im Repertoire hat, erspart sich so das Zeigen auf die Figur, die gerade spricht.
Wir haben Band 2 zuerst gelesen. Tatsächlich macht es in diesem Fall aber mehr Sinn, mit dem Ersten zu beginnen. Der „Clanton-Kosmos“ erschließt sich dann viel logischer.
Band 1: Einhorn des Meeres
Im ersten Band „Das Einhorn des Meeres“ lernen Narwal und Jelly, die Qualle, sich kennen. Ein ulkiger Dialog entfaltet sich, weil beide nicht fassen können, dass es so komische Kreaturen gibt: „Aber Du hast was von einem Wackelpudding.“ (Zitat, S. 8) Die anfängliche Fremdheit ist schnell überwunden und die beiden beschließen Freunde zu sein.
Es folgt ein kleiner Exkurs mit Fakten über diese beiden Meeresbewohner, die wir nach der ersten Seite schon in unser Herz geschlossen haben.
Im nächsten Kapitel bemerkt Narwal, dass er keine Herde hat, laut Internet aber eine haben müsste. Unverbesserlicher Optimist, der er ist, sucht er sich eine eigene Herde zusammen und fragt sämtliche Meeresbewohner, die er trifft, ob sie nicht mitmachen wollen. Natürlich wollen alle und bekommen deshalb einen Stoßzahn auf die Stirn geklebt. Am Ende können sie gemeinschaftlich auch Jelly, die sich zunächst übergangen fühlt, überreden mitzumachen.
Am besten hat mir das Kapitel „Das beste Buch aller Zeiten“ gefallen. Narwals Lieblingsbuch ist komplett weiß. Jeder soll sich seine eigenen Geschichten ausdenken. Diese Idee ist großartig, und wird gewürdigt indem sich den Lesenden eine weiße Doppelseite zeigt, als Jelly das Buch aufschlägt.
Die beiden Freunde erfinden die Geschichte von Waffel und Erdbeere, zwei Superhelden, denen im zweiten Band ein ganzes Kapitel gewidmet wird.
Narwal ist immer fröhlich und begegnet den Herausforderungen des Lebens unverzagt. Jelly ist eher nachdenklich und Bedenkenträgerin. Diese Charakterisierung setzt sich im zweiten Band fort.
Band 2: Super Narwal und Jelly, der Blitz
Narwal möchte Superheld werden, hat aber einfach keine Superkraft. Eine geheime Identität und ein Super-Gehilfe, nämlich Jelly, der Blitz, sind schnell organisiert. Das Problem mit der Superkraft, kann bis nach dem Mittagessen warten.
Ein Kapitel mit Fun Facts über Meeresbewohner mit Superfähigkeiten wird eingeschoben.
Dann beginnt Super-Narwals erste Mission: Seestern zurück an den Sternenhimmel werfen. Doch wie soll das gehen ohne Superkraft? Die Lösung ist wunderbar einfach. Und einfach wunderbar.
Im nächsten Kapitel tauchen Superwaffel und sein geheimer Gehilfe Erdbeer wieder auf. Und hier ist es wirklich hilfreich, den ersten Teil schon zu kennen. Sonst? Sonst macht es für den erwachsenen Vorleser so gar keinen Sinn. Die Zuhörer lieben die Geschichte, wie Waffel und Erdbeer den riesigen Butterklumpen aufhalten, mit Sicherheit trotzdem.
Im letzten Kapitel steht Super-Narwal vor seiner schwierigsten Mission: er muss herausfinden, warum Jelly so traurig ist. „Hat jemand deinen Schnurrbart geklaut?“ (Zitat, S. 47) „Oder bist du vielleicht in einer Tuba steckengeblieben?“ (Zitat, S. 50).
So kann Jelly schnell wieder lachen, obwohl sich Krebs über ihren Superhelden-Gehilfen-Anzug lustig gemacht hat. Wird Super-Narwal seinen Gehilfen rächen? Und was ist jetzt eigentlich sein Superkraft?
Die Bilder
Ben Clantons Bilder sind mit wenigen dicken Strichen gezeichnet, aber unglaublich vielsagend. Selbst ganz junge Zuhörer erkennen die Emotionen der Hauptfiguren ohne Schwierigkeiten. Durch die Beschränkung auf wenige Farben, vermitteln die Bilder eine gewisse Ruhe und Übersichtlichkeit.
Der Humor ist kindlich, manchmal albern, aber auch subtil. Ich habe beim Vorlesen so manches Mal schallend gelacht.
Und sonst:
Schön ist auch, das Fakten über Meerestiere eingebunden werden. Sie stehen isoliert in einem Kapitel und können nach Stimmung übersprungen oder auch alleinig vorgelesen werden.
Das Buch eignet sich für Lesebengel ab vier oder fünf Jahren. Es ist aber definitiv auch für Erwachsene unterhaltsam. „Tintenfisch! Dein Garten ist spitze!“ (Zitat S.32), eine Anspielung, die Kinder noch nicht verstehen können. Dem Vorlesenden beschert es hingegen vielleicht einen schönen Ohrwurm.
Für Erstleser kann das Buch auch eine gute Idee sein. Die Textsequenzen sind kurz und die Bilder verdeutlichen das Erlesene. Auch die Handlung ist übersichtlich. Für Verwirrung könnte der Komikstil sorgen und dass alle Wörter durchgehend in Großbuchstaben gedruckt sind.
Vielleicht lasst Ihr euch am Abend von euren Kindern vorlesen? Dann könnt Ihr, ganz Super-Gehilfe, unterstützen, falls die Augen eures Superhelden, die nächste Zeile nicht finden.
Auf seiner Homepage zeigt Euch Ben Clanton, wie man einfach einen Narwal zeichnen kann.
WUUUUUSH!