Wikingerbuch für Kinder und Jugendliche: Götter-Ulk statt Götter-Kult
Von: Frank Schwieger
Illustration: Ramona Wultschner
Erschienen: 2019, dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Zum Inhalt:
Wie das Wikingerbuch entstand:
Was das allerschlimmste ist, dass einem passieren kann? Dass man vergessen wird, dass niemand an einen denkt oder glaubt. „Und genau das ist mir passiert. Ausgerechnet mir, dem Big Boss, dem mächtigen Götterkönig Odin.“
Deshalb hat Odin einige seiner wichtigsten Götter-Kollegen und Kolleginnen, Sagengestalten und Heldenfiguren aus der Wikingerzeit aufgerufen, ihre Geschichten aufzuschreiben. Frank Schwieger, Historiker und Autor, hat die Seiten gefunden und dieses Wikingerbuch daraus gemacht.
So erzählt es Odin im Vorwort des Freundschaftsbuches. Freundschaftsbuch? Genau! Jedes Kapitel ist einer Person gewidmet. Um diese Person kennenzulernen, ist jedem Kapitel eine Doppelseite aus einem Freundschaftsbuch vorangestellt. Erst dann beginnt die eigene Geschichte, die von jeder Figur aus der Ich-Perspektive erzählt wird.
Götter und Göttinnen
Natürlich darf Odin, der Allvater, beginnen. Logischerweise erzählt er zunächst von der Erschaffung der Welt. Von der Urschlucht und dem Urriesen, von seinen Eltern, von Riesen und Zwergen, von den ersten Menschen und schließlich davon, wie er sein Auge verlor.
Weiter geht es mit dem listigen Riesengott Loki, welcher einigen mächtigen Göttern berühmte Geschenke macht. Zum Beispiel bekam Thor seinen Donnerhammer von ihm. Einst kam Loki aus dem Reich der Unholde in die Welt der Asen, der Götter. Dort wurde er als einer der ihren akzeptiert, obwohl er eigentlich ein Riese war. Seitdem sorgte er durch allerhand Schabernack für Unruhe in Asgard.
Anschließend stellt sich uns die erste Göttin vor: Freia, die hilfsbereite Liebesgöttin. In ihrer Geschichte lernen wir auch die Wallküren kennen und den historischen Ort Haithabu. Eingebettet zwischen den Geschichten der borstigen und raubeinigen Götter, ist dieser Abschnitt eine willkommene Abwechslung.
Denn mit Thor, dem Donnergott, und einem Saufgelage geht es wild weiter. Thors Hammer wird entführt. Mit einer hollywoodreifen Finte bekommt er ihn zurück und rettet Asgard damit vor dem Untergang.
Riesen und Zwerge
Mit reichlich Frauenpower geht es im nächsten Kapitel weiter. Skadi, die wütende Riesin und angeblich Erfinderin des Skifahrens, stellt sich vor. Sie greift einen Handlungsstrang aus der Erzählung von Idun wieder auf, indem sie berichtet, wie sie den Tod ihres Vaters rächt. Obgleich man es vermuten könnte, ist das keine blutrünstige, sondern eine eher belustigende Story.
In einigen vorherigen Kapiteln lernten wir bereits einige Zwerge kennen. Nun stellt sich einer von ihnen genauer vor: Andvari, der Steinreiche. Wieder einmal taucht der listige Loki auf und stiehlt den Schatz des Zwerges. Auch dessen Ring, der allerdings in letzter Sekunde mit einem Fluch belegt wird.
Menschliche Helden
Nach Göttern, Riesen und Zwergen endet das Wikingerbuch mit Sagen um menschliche Helden. Die Geschichten von Regin und dessen Ziehsohn Sigurd bauen auf der von Andvari auf. Wie es mit dem verfluchten Ring weiterging, erfahren wir hier.
Brynhild ist eine Walküre, die von Odin nach Midgard zu den Menschen verbannt wurde. Von ihr hören wir, wie es dazu kam und wie Sigurd eine Mutprobe bestand und sie schließlich heirateten.
In den letzten beiden Kapiteln geht es um Thora, die von einem außer Rand und Band geratenem Lindwurm gefangen gehalten wird. Und um Ragnar, dem mutigen Wikinger, der sie aus dieser Geiselhaft befreit und sie schlussendlich heiratet.
Die Bilder:
Die Illustrationen korrespondieren gut mir der Erzählweise in diesem Wikingerbuch. Sie sind comicartig, lustig und wild. Und passen damit auch gut zu den Heldensagen, die wir in diesem Buch kennengelernt haben.
Jedem Abschnitt geht ein Standbild vorweg. Der jeweilige Protagonist wird in voller Größe und mit seinen typischen Merkmalen gezeigt. Auch Gegenstände, wie Waffen oder Schmuck, sind illustriert.
Mit kurzen Sätzen, in reichlich verschiedenen Schriftarten, werden die Personen auf diesem ersten Bild weiter charakterisiert.
Es folgt eine Doppelseite wie aus einem Freundschaftsbuch. Die erzählende Hauptperson hat hier zum Beispiel eingetragen, wo sie zu Hause ist, was sie gut kann usw. Die Rubrik „Wusstest Du schon, dass…“ hält interessante Fakten in Zusammenhang mit der Person bereit.
Auf den letzten Seiten befindet sich ein kleiner Glossar in Bilderform und das Weltenbild der Wikinger als Übersicht.
Fazit oder die Moral von der Geschicht`:
Inhalte und Aufbau des Buches gut gewählt
Das Wikingerbuch bietet einen tollen und umfassenden ersten Einblick in die Zeit der Wikinger und deren Götter- und Heldensagen. Dass jeder Protagonist seine Geschichte selbst aus der Ich-Perspektive erzählt, ist ein kluger Kniff. Denn so bekommt jede Geschichte eine persönliche Note. Jüngere Zuhörer müssen eventuell zwischendurch erinnert werden, wer denn nun gerade erzählt. Zur Orientierung steht das aber noch mal auf jeder Seite in der Kopfzeile.
Die Reihenfolge der Geschichten ist sinnvoll. Die Zusammenhänge einzelner Sagen werden deutlich, indem Handlungsstränge aus vorangegangenen Kapiteln wieder aufgegriffen werden. Ein Geflecht entsteht, das erahnen lässt, wie umfassend die Gesamtheit der Sagenwelt sein muss. Hilfreich zur Orientierung ist das Weltenbild am Ende des Buches.
Besonders gelungen ist die Auswahl der Themenschwerpunkte. Es werden nicht geschichtliche Fakten trocken aneinandergereiht, sondern die interessanten (Fun-)Fakts unterhaltsam dargeboten. Mit einem teils recht flapsigen Ton und einer angemessenen Portion Ironie wird ein lockerer Plauderton geschaffen, der sich durch das ganze Buch zieht. Dadurch drängt sich die Interpretation auf, dass die Helden allesamt Angeber waren. Ich kann mit gut vorstellen, wie diese Geschichten entstanden sind, als die Social Media noch Lagerfeuer und Thing (Versammlung der Wikinger) hießen.
Umgang mit Gewaltszenen
Der Autor hat einen sehr guten und vorsichtigen Umgang mit der Gewalt und dem Gemetzel in den nordischen Sagen gefunden: „Von dem, was dann in diesem großen Saal geschah, möchte ich dir nicht allzu viel erzählen. Odin meinte, dass ihr Menschenkinder etwas schreckhaft und empfindlich seid.“
Vorlesen und selbst lesen
Wie erwartet hat das Buch meinen Jungs sehr gut gefallen. Mir persönlich sind die Bilder teils zu unruhig und zu übertrieben. Aber das gehört nun einmal zu dem Stil dieser Illustrationen und ist handwerklich sicherlich sehr gut gemacht.
Obwohl mir klar ist, dass das flapsige Erzählen zum Konzept des Buches gehört, war es mir beim Vorlesen zeitweise etwas zu anstrengend. Für einen jungen Selbstleser ist es aber bestimmt unterhaltsam und fördert die Lesefreude.
Die Idee mit dem Freundschaftsbuch ist nett und für die jungen Leser ein bekannter Teil ihrer Lebenswelt. Aus der Erwachsenenperspektive denke ich, dass das Buch auch ohne diese Doppelseiten funktioniert. Ich hatte anfänglich die Erwartung, dass die Idee Freundschaftsbuch konsequenter ausgeführt wird. Tatsächlich sind die Doppelseiten aber das einzige, das an ein Freundschaftsbuch erinnert.
Das Buch ist für Kinder und Jugendliche geschrieben, dennoch (oder deshalb?) habe ich viel gelernt und mein historisches Wissen in dem Bereich erweitert. Auch mein 5jähriger hat sich einiges gemerkt, wenngleich manche Sachverhalte noch zu komplex waren.
Aber er hat verstanden, dass Menschen an anderen Orten und zu anderen Zeiten an Anderes geglaubt haben, als wir heute. Dass es Alternativen zu Adam und Eva, zu Gott, Jesus und den biblischen Geschichten gibt. Somit ist das Buch eine schöne Ergänzung zum, vom Christentum geprägten, religiösen Wissen unserer Kinder.
Falls ihr und eure Söhne euch auch für die Götter- und Heldensagen der Wikingerzeit interessiert, kann ich dieses Buch, trotz der kleinen Kritikpunkte (die Geschmackssache sind) empfehlen. ffff
Die Buchbeschreibung macht neugierig. Mal etwas ganz Anderes. Lohnt sich sicher auch für Vorleser, besonders wenn man an der Wikingerzeit interessiert ist.