Fliegender Stern

Fliegender Stern Cover mit Indianerkette

Fliegender Stern: mitreißende und authentische Indianergeschichte

Von: Ursula Wölfel

Illustrationen: Bettina Wölfel

Erschienen: Carlsen Verlag mit freundlicher Genehmigung des Thienemann Verlages Stuttgart, 1993

Zum Inhalt:

Fliegender Stern, der kleine Indianerjunge

Wegen einer Sternschnuppe, die sein Vater Guter Jäger in der Nacht seiner Geburt sah, kam Fliegender Stern zu seinem schönen Namen.

Der Junge wächst im Nordamerika des 19 Jahrhunderts auf. Eine Zeit des Umbruches für alle Menschen, indigen und zugewandert. Fliegender Stern hat die Erwachsenen schon von dem weißen Mann reden hören. Doch mit seinen etwa sechs Jahren zählt er noch zu den Kleinen seines Stammes, von denen die Sorgen der Großen ferngehalten werden.

Doch dass die Situation des Stammes nicht einfach ist, merken auch die Kinder. Denn wieder einmal kommen die Männer, ohne auf eine Büffelherde getroffen zu sein, von der Jagd zurück. „Niemand war satt geworden im Lager. Fliegender Stern dachte wieder an den weißen Mann.“ (Zitat, S. 12)

Büffel
Die Büffel sind vertrieben

Ein ungewollt weiter Ritt

Am nächsten Morgen ist großer Aufbruch angesagt. Der Stamm zieht weiter an einen See mit reichen Fischgründen. Fliegender Stern bittet seinen Vater, dass er alleine reiten darf und nicht bei seiner kleinen Schwester hinten sitzen muss. Guter Jäger setzt ihn daraufhin auf ein Pferd – von dem Fliegender Stern sogleich wieder hinunter fällt.

Doch beim zweiten Versuch bleibt er sitzen. Allerdings schafft er es nicht, das Pferd zu lenken oder zu bremsen. So reitet es mit ihm weit in die Steppe hinaus. Fliegender Stern hat Angst, fühlt sich einsam und verlassen, wird aber schließlich von seinem Vater eingeholt. Guter Jäger ermuntert seinen Sohn wieder aufzusteigen: „Wer nicht allein aufsteigen kann, der soll auch nicht allein reiten.“ (Zitat, S.20)

Trotz schmerzender Hände schafft der kleine Indianer es aus eigener Kraft beim zweiten Versuch, das Pferd zu besteigen. Fortan darf er allein reiten.

Mutprobe am See

Am anderen Morgen wird Fliegender Stern von seinem Bruder Grauer Hengst geweckt und mit an den See genommen. Dort besteht er eine Mutprobe und ein Aufnahmeritual und gehört nun endlich zu den Großen.

Der Stamm schlägt am See ein neues Lager auf. Dennoch haben sie nicht immer ausreichend Essen, da die Büffel fehlen. Zum Trost und um mithelfen zu können, bekommt Fliegender Stern von seiner Mutter eine Angelrute geschenkt. Doch das Stillsitzen fällt ihm noch schwer und da er so gerne den Kleinen beim Bau eines Staudammes helfen wollte, schafft er es nicht, auch nur einen einzigen Fisch zu fangen. Er bekommt zwar einen dicken Fisch geschenkt, trotzdem geht er geknickt nach Hause und sagt: „Ich glaube, ich bin doch noch ein bisschen klein,“ (Zitat, S.36)

Fliegender Stern und Grasvogel reiten
Fliegender Stern und Grasvogel

Die Sommerwochen am See vergehen und Fliegender Stern wird immer besser im Reiten, Schwimmen, Bogenschießen und auch im Angeln. Er sorgt außerdem dafür, dass sein Freund Grasvogel auch bei den Großen aufgenommen wird.

Das große Abenteuer

Mit ihm besteht er das eigentliche Abenteuer des Buches: Ohne irgendjemandem Bescheid zu sagen, machen sie sich auf den Weg zum weißen Mann. In ihrer kindlichen Vorstellung wissen die Weißen einfach nicht, dass das Land den Indianern gehört. Dass der große Geist es ihnen geschenkt hat und die Büffel ebenso. Die beiden Jungen wollen den Fremden das mitteilen und dann werden sie das Land einsichtig verlassen.

Sie reiten mehrere Tage durch die Steppe, essen und schlafen kaum. Sie treffen auf Gleise, denen sie in der Hoffnung folgen, dass sie zu einer Siedlung führen. Doch offenbar haben sie sich für die falsche Richtung entschieden, da sie nach einem sehr beschwerlichen Stück Weg vor einem großen, dunklen Loch in der Felswand stehen.

Bei den weißen Siedlern

Sie nehmen ihre letzte Kraft zusammen, kehren um und reiten in die andere Richtung. Und kommen endlich, endlich zu einem Dorf.

Von den Männern werden sie freundlich aufgenommen. Einer, Doktor Christoph, spricht sogar ihre Sprache und ist mit ihrem Häuptling und Medizinmann bekannt. Die Jungen fühlen sich vom Doktor ernst genommen und führen ein ernsthaftes Gespräch mit ihm. Sie begreifen, dass sich der Lauf der Geschichte nicht mehr umkehren lässt. Dass die Fremden nicht zurückkehren werden. Und sie begreifen, dass nicht alle von ihnen schlecht sind. Es gibt viele, denen leidtut, was den Indianern angetan wurde und wird.

Die Indianerjungen bei Dr. Christoph
Die Indianerjungen bei Dr. Christoph

Doktor Christoph schenkt den beiden eine Karte, die den Weg zu einem fernen Land weist, in dem es noch eine große Büffelherde geben soll. Er begleitet sie ein Stück auf ihrem Heimweg.

Heimkehr und Aufbruch

Ihre Eltern und der Stamm sind überglücklich, dass die Jungen wieder da sind. Natürlich bekommen sie aber auch eine Strafe dafür, dass sie abgehauen sind.

Die Ältesten entscheiden, dass das Lager am nächsten Tag aufgegeben und der Stamm, der Karte folgend, in das Büffelland reiten wird.

Nach einem langen Ritt, mit vielen Zweifeln und wenig Essen, kommen die Indianer endlich in das ersehnte Land und entdecken die Büffelherde. Endlich muss sich niemand mehr vor dem nahenden Winter fürchten. Dr. Christoph hat die Wahrheit gesagt.

Im Epilog erfahren wir, dass der Stamm später gezwungen wurde sesshaft zu werden, womit einige besser und andere schlechter zurecht gekommen sind. Fliegender Stern und Grasvogel wurden Lehrer.

Die Bilder:

Die Bilder dieser Ausgabe sind von Bettina Wölfel, der Tochter der Autorin. Es sind sehr schöne Bleistiftzeichnungen, die Einzelheiten oder Szenen aus den Kapiteln aufgreifen. Der Illustratorin gelingt der Spagat zwischen detailreicher und kindgerechter Zeichenart. Gleichzeitig passt der Stil perfekt zur Indianergeschichte und dem historischen Hintergrund.

Pfeife, Zelt, Kopfschmuck, Pfeil und Bogen
Schön und detailreich

Fazit und Moral von der Geschicht`:

Klein sein

Die Zeitlosigkeit des Textes wird allein schon dadurch deutlich, dass er zwar aus dem Jahr 1959 stammt, aber seitdem immer wieder neuaufgelegt wurde.

Gleich der erste kleine Absatz zog mich als Vorleserin und meine beiden Jungen in den Bann: „Es ist schlimm, wenn man noch ein kleiner Junge ist. Warum dauert es nur so lange, bis man groß wird?“ (Zitat, S. 7) Ein Volltreffer in die Lebenswelt der Jungen im Kindergarten- und Vorschulalter. Alle Eltern haben diese Frage wahrscheinlich schon mehr als einmal beantworten müssen.

Unser Protagonist befindet sich genau in dem Alter und damit an der Schwelle vom kleinen Jungen zum großen Jungen. Anders als bei uns heute, ist bei dem Indianerstamm klar definiert, wer groß und wer klein ist. Denn es gibt einen Aufnahmeritus, der zu bestehen ist, will man bei den Älteren mitmischen.

Groß werden

Die Erzählung von Mutproben, von echten Schnitzmessern, von Pfeil und Bogen, davon Schmerzen auszuhalten, hat meinen Jungen die Tür zu einer abenteuerliche Welt eröffnet und ihnen eine Ahnung davon vermittelt, wie Kindheit zu anderen Zeiten, an anderen Orten vielleicht war.

Schwimmen lernen ohne Kurs und ausgebildeten Schwimmlehrer? Schnitzen ohne Schutzhandschuh und -brille? Pfeil und Bogen ohne Saugnäpfe? Hilfe, Anarchie! Denken wir Mütter vielleicht und haben unsere Kinder bald auch so weit. Obwohl wir insgeheim doch alle von so einer abenteuerlichen Kindheit träumen.

Einblicke in den Alltag der Indianer

Der Alltag der Indianer ist schön beschrieben und wir bekommen einen Einblick in die Wertevorstellung der Stämme. Von der Bedeutung, die das Jagen und Sammeln für das Überleben hat. Von Freundschaften und Beziehungen zwischen Eltern und Kindern.

Ein Beispiel dafür ist das Vertrauen des Vaters Guter Jäger in die Fähigkeiten seines Sohnes. Er setzt ihn einfach auf das Pferd (Hilfe, Anarchie!) und gibt diesem einen Klaps. So zeigt er seinem Sohn, dass er ihm das Reiten zutraut. Gleichzeitig macht er deutlich, dass das Reiten erst erlernt werden muss. Dass es Sinn macht, dass nur die Großen allein reiten.

Historischer Hintergrund

Der Autorin ist es gelungen ein historisches Thema kindgerecht zu verpacken. Mit einfachen, aber überhaupt nicht langweiligen Sätzen, erzählt sie von der Besiedelung des nordamerikanischen Kontinentes durch die europäischen Einwanderer. Wobei Besiedelung wahrhaftig ein zu harmloses Wort für das ist, was tatsächlich geschah.

Und das, was tatsächlich geschah, das was auch für Erwachsene heute noch schwer zu ertragen ist, wird in dem Kinderbuch feinfühlig angedeutet. Ganz vorsichtig.

Gut und Böse

Und vor allem wird das Thema überhaupt nicht einseitig angegangen. Es wäre ein Einfaches gewesen, die Weißen als üble Schufte darzustellen. Keiner hätte sich darüber wundern oder beschweren können. Oder dürfen. Aber Wölfel gestattet diese simple Einteilung von Gut und Böse nicht. Sie wählt einen anderen Weg. Es entsteht eine Freundschaft zwischen Siedlern und Indianern. Die Welt ist anscheinend doch komplexer. Ein schöner Lerneffekt für die jungen Zuhörer.

Vielleicht hätten „die Weißen“ schlechter wegkommen müssen, in diesem Abenteuer. Denn sie (wir?) sind doch nun einmal die Bösen. Historische Tatsache.

Aber vielleicht ist das der besondere Clou des Buches: es ist ein Plädoyer für ein friedliches Miteinander. Ohne diesen Aug´ um Aug´ Wahnsinn oder kindisches „Aberderhatdochangefangen!“.

Lernt Euch kennen, lernt eure Mitmenschen kennen. Raucht eine Spielzeug-Friedenspfeife. Und lest dieses Buch.

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